3 Der 12. März, der alles verändert hat

Meine Erinnerungen an den Tag von Johannas Geburt...


Wie jeden Morgen, der letzten Zeit, setzte ich mich nach dem Aufstehen aufs Sofa. Schaute eine Predigt, trank Tee und wartete darauf bis mein Magen ganz rebellierte, lief ins Bad übergab mich und ging zurück zum Sofa. Schaute die Predigt zu Ende, trank Tee und nach einer Weile aß ich ein bisschen Müsli. Nun konnte der Tag beginnen, seit ein paar Tagen ging es mir endlich wieder etwas besser und ich hatte wieder mehr Kraft zu Hause etwas zu tun. 
An diesem Tag strich ich vormittags die Wiege, die wir den Tag zu vor auf Ebay Kleinanzeigen gekauft hatten und wusch die Bezüge, den Himmel und das Nestchen. Im Arbeitszimmer war es etwas eng aber es klappte trotzdem. Die Wiege war weiß und aus Holz, konnte aber ein paar Verbesserungen vertragen. Nachdem ich zwei Mal gestrichen hatte, sah sie aus wie neu und ich freute mich darüber. Ich machte noch ein paar Kleinigkeiten und zwischendurch immer wieder Pause auf dem Sofa. Da Jonas nach der Arbeit noch bei einem Bekannten am Haus helfen wollte hatte ich recht viel Zeit bis er wieder kam. 

Gegen Mittag aß ich meine tägliche Portion Pommes aus der Mikrowelle und hatte wieder Kraft was zu tun. Ich kochte Klöße mit Soße die ich abends mit Jonas Essen wollte. Naja letztendlich landeten sie leider den Sonntag im Müll, weil ich sie einfach nicht mehr essen wollte. 
Mir ging es so gut, nachdem ich den Mittwoch und Donnerstag immer mal wieder Bauchweh und Blähungen hatte (die Hebamme sagte, es könnten Vorzeichen gewesen sein aber genauso gut hätte es auch wirklich am Grünkohl liegen können den ich zuvor gegessen hatte, da so eine Senkung der Fruchtblase in kürzester Zeit passieren kann, ohne dass man groß vorher was merkt). Dennoch stellte ich mir im Nachhinein immer wieder die Frage ob ich nicht hätte etwas merken und kapieren müssen und etwas unternehmen hätte müssen und ob sich dadurch wohl irgendwas geändert hätte. Im Nachhinein habe ich so viel über Geburt, Wehen und deren verschiedenen Arten etc. gelernt, wie gerne hätte ich es vorher schon gewusst, aber der Geburtsvorbereitungs-kurs hätte erst Ende April angefangen, wer hätte auch ahnen können, dass es so früh und plötzlich losging. 

Da ich noch Zeit hatte bis Jonas kam und es mir so gut ging, stellte ich am frühen Abend noch eine Maschine Wäsche an und fing an Brötchen (mit Thunfisch gefüllte Käsebrötchen und eine weitere neutrale Sorte) zu backen. Die Thunfischbrötchen lagen zum Gehen auf dem Backblech und der andere Teig war in der Schüssel (wobei wir uns nicht sicher sind ob schon alles drin war was rein sollte, da die Brötchen auch wenn meinen Mama sie später backte nicht wirklich aussahen und schmeckten als wäre der Teig vollständig gewesen, also landeten auch diese leider sonntags im Müll).
 

Um 19.13 Uhr rief Jonas an, dass er jetzt auf dem Rückweg ist. Ich musste dringend auf Toilette, auch nichts ungewöhnliches in der letzten Zeit. Auf Toilette merkte ich, dass sich etwas veränderte, Druck und Bauchweh und mein Muttermund änderte sich. Ich sagte nichts am Telefon aber ich war total verunsichert, aufreget, versuchte mich zu beruhigen und zu sagen ist bestimmt nicht schlimm aber es half nicht wirklich. Ich hatte so Bauchweh. Als Jonas zur Tür rein kam, saß ich immer noch auf Toilette und er kam zu mir, erzählte und dann sagte ich ihm endlich, dass es mir nicht gut ging, dass sich was veränderte und erst dann traute ich mich zu fühlen, der Gedanke daran lässt mich zittern, ich konnte etwas rundliches fühlen, ich bibberte und mit zittriger und super aufgeregter leiser Stimme sagte ich: „Da stimmt was nicht, da stimmt was nicht“ und weinte und mein Körper bebte. 
Jonas schaute und blieb wie immer die Ruhe in Person. Sagte ich sollte mich aufs Sofa legen aber ich konnte mich nicht bewegen. Er half mir auf und zog mich an und begleitete mich zum Sofa. Ich legte mich hin und er rief bei meinen Eltern an. Sie sagten wir sollten ins Krankenhaus fahren und uns vorher anmelden. Jonas rief im Krankenhaus an aber erreichte keinen. Also wählte er doch den Notruf. Wie er so ruhig blieb und sprach, ich war so aufgeregt, mein Puls ging bestimmt völlig durch die Decke. 

Um 19.52 Uhr schrieb ich Anna, einer guten Freundin (wie so oft wenn ich aufgeregt war, Angst hatte, etc.) „Anna kannst du bitte beten. Der Notar holt mich gleich ab.“ (Diese doofe Autokorrektur machte aus Notarzt Notar und ich habs nicht mal gemerkt). Schon um 19.53 Uhr schrieb sie zurück aber ich bekam es nicht mehr mit: „Wie meinst du das? Ja klar bete ich! Meintest du Notarzt? Oder Notar? Geht es um euer Haus? Egal ich bete einfach dass Gott dir nahe ist und dir gibt was du brauchst! Ja“ Später erfuhr ich, dass es sie so unruhig gemacht hat, dass sie Jonas angeschrieben hat und er kurz mit ihr telefonierte um zu erklären was los war. 

Der Krankenwagen war schon kurz nachdem Jonas aufgelegt hatte zu hören, da die Rettungswache ja nicht so weit weg ist. Ich bat Jonas die Sachen vom anderen Sofa wegzuräumen, da mir das unangenehm war, dass es so furchtbar aussah und so viele Babyartikel (Windeln, Bürste, Thermometer, Stilleinlagen, etc.) dort lagen (hatten wir ein Tag vorher im Rossmann gekauft, da es mir gut ging und ich mal rauswollte, hatte mir Listen ausgedruckt auf denen stand was man alles so nach der Geburt fürs Kind brauchte – wer konnte ahnen das wir es nie brauchen würden). Völlig verrückt im Nachhinein, dass mir das wichtig war. 
 Das Wohnzimmer war viel zu klein für die vielen Menschen die so völlig fehl am Platz schienen. Notarzt, zwei Sanitäterinnen und ein Sanitäter. Der Notarzt raffte gar nichts, die Sanitäterin, die mich dann auch im Rettungswagen begleitete musste ihm mehrmals auf die Sprünge helfen und fragte mich immer wieder Dinge, die vermutlich eigentlich der Notarzt hätte fragen sollen. Und letztlich glaub ich entschied die Sanitäterin dass sie mich mitnehmen und ins Jung-Stilling bringen würden. Ich ging selbst zum Krankenwagen, ich hatte so zittrige und wacklige Beine. Legte mich auf die Trage und wurde festgegurtet. 
Jonas durfte nicht mit, ich hätte heulen können aber bleib nach außen hin ruhig. Sah ihn noch einmal in von der Trage aus durch die Tür und sagte ihm dass ich ihn liebe. Gefühlt dauerte es ewig bis wir endlich losfuhren. Die Sanitäterin erzählte, dass ein Nachbar gefragt hätte was los ist und ob ich ihn kannte, aber ich hatte keine Ahnung. Jonas sagte später, dass er einer von den freiwilligen Feuerwehmännern gewesen sei und  Jonas gefragt hat ob er was helfen kann. Voll lieb. Gekannt hat er uns nämlich nicht. Die Fahrt war ziemlich wacklig und die Sirene recht laut. 
Ich war so nervös, betete kurz für unser Kind und dann fast nur noch für Jonas. Der Gedanke daran dass er zuhause bleiben musste und nicht wusste was passiert war mir furchtbar. Die Sanitäterin sprach immer wieder mit mir, fragte noch einiges und notierte Sachen. Zwischendurch streichelte sie meine Schulter. Sie versuchte mich aufzumuntern, indem sie sagte, dass heute teilweise auch schon ganz kleine Frühchen überleben würden. So schnell war ich noch nie von A nach B gekommen. 

Am Krankenhaus schoben mich die Sanitäterin und der Sanitäter ins Krankenhaus, der Sanitäter erklärte mir, dass jetzt zuerst ein Corona-Test gemacht werden würde, das wäre super unangenehm aber müsste sein. Er witzelte ein bisschen und versuchte die Stimmung etwas aufzuheitern. Ich glaub der Versuch des männlichen Personals Anteil zunehmen aber nicht zu wissen wie, der Stationsleiter auf der MundKieferChirugie war später ähnlich. Irgendwie seltsam aber irgendwie tat es auch gut, gedrückt war die Stimmung ansonsten auch echt schon genug. Dann wurde ich in den Kreissaal weitergeschoben, die an der Anmeldung wussten erst nichts davon das ich komme aber dann kam eine Hebamme die Bescheid wusste und die Sanitäter fuhren mich in einen Raum und ich legte mich auf die Liege im Raum. Die Sanitäter sprachen noch mit den Hebammen und verabschiedeten sich dann mit „Alles Gute“. 

Die Hebammen schlossen mich am Wehenschreiber an und sagten, dass die Ärztin noch im OP sei und später käme. Ich war allein im Zimmer, wusste nichts mit mir anzufangen, betete immer wieder kurze Gebete aber für längeres hatte ich keinen Kopf. Die Wehen wurden immer stärker und taten unfassbar weh. Die Hebammen schauten immer öfter nach mir und telefonierten nach der Ärztin. Sie schauten nach ob sie Herztöne finden konnten und siehe da, das Herz von unserem kleinen Baby schlug. Sie halfen mir immer wieder beim Atmen und Luftholen und hielten meine Hand. Sie fragten ob wir schon einen Namen hätten, aber wir wussten ja nicht mal was es wird, also fragte sie ob wir einen kleinen Spitznamen hätten und ich sagte ihr, dass mein Mann es immer Krümel nennt. Die eine Hebamme sagte ich könnte ruhig mit meinem Mann telefonieren, dass tat ich kurz um 21.05 Uhr aber es war viel zu anstrengend. Und nach 6 min. haben wir aufgehört. Irgendwann lief die eine Hebamme los und meinte „Jetzt reicht’s“, kurz danach kam die Ärztin.

Die Ärztin machte einen Ultraschall und schaute sehr unglücklich und sagte dann zur Hebamme sie sollten ein Bett holen und mir Schmerzmittel anhängen, die Hebamme fragte noch was (wegen unserem kleinen Baby um es zu schützen) aber die Ärztin sagte sie solle mir (hab den Namen vergessen) geben, weil sie eh nichts machen könnten wenn die Wehen weiterhin so kämen. Sie halfen mir ins Bett und fuhren mich ins rosa Zimmer. Die Hebamme, inzwischen eine andere, die uns die restliche Zeit begleitete, sagte ich solle Jonas anrufen aber ihm nur sagen, dass er kommen soll alles andere würden wir hier machen. Das Telefonat um 22.05 Uhr dauerte daher nur eine halbe Minute. Ich war froh, dass Jonas kommen durfte, ich war so ko, hatte immer noch so Schmerzen, die leichteren Wehen zwischendurch spürte ich durch die Infusion nicht mehr so aber die großen waren immer noch unglaublich heftig. Ich schrieb zwei Freundinnen, dass ich im Krankenhaus bin und wir wahrscheinlich unser Baby verlieren und bat sie um Gebet. 

Gegen 22.30 Uhr war Jonas endlich da und legte sich zu mir ins Bett. Viel reden konnten wir nicht. Die Hebamme kam nochmal und erklärte Jonas was los ist und guckte irgendwas bei mir daher musste Jonas aus dem Bett raus. Er saß dann neben mir im Sessel. Die Hebamme ging und Jonas weinte und ich, ich war so weg, konnte gar nicht weinen außer vor Schmerzen und nach Luft ringen. Die Ärztin kam nochmal und machte einen Abstrich, sie war sehr ruhig und liebevoll. Dann ließen sie uns alleine und wir sollten rufen wenn es losging und die Fruchtblase platzt (was sie aber ja nicht getan hat) aber irgendwann merkte spürte ich noch mehr Druck und wir klingelten. Die Ärztin und die Hebamme kamen und begleiten uns liebevoll. Die Geburt dauerte nicht lang, da unsere kleine Maus ja noch so winzig war, kurz vor 23.00 Uhr war sie da. Die Hebamme fragte, ob sie unser Baby im Zimmer aus der Fruchtblase holen sollte oder ob sie sie erstmal mitnehmen sollte und wir sie später sehen wollten. Ich wollte gar nichts davon aber außer ein Kopfschütteln bekamen weder Jonas noch ich groß was raus. Die Schmerzen hörten endlich auf und ich war völlig erschöpft. Jonas weinte und ich, ich war froh, dass es endlich vorbei war, der Gedanke war mir später sehr schlimm aber ich war so alle und konnte nicht mehr, hielt Jonas Hand und sagte, dass wir das schon schaffen werden. Wir überlegten wie wir unser Kind nennen sollten wenn es ein Mädchen oder ein Junge ist. Unseren eigentlich favorisierten Namen wollte Jonas nicht nehmen, weil wir ja vlt. noch ein Kind bekommen würden. Wir kamen auf Johanna - das gefiel uns beiden.  

Ich bekam noch eine Infusion und Tabletten zum Abstillen, mir war alles egal und nahm alles was man mir gab. Uns wurde gesagt, dass ich noch in den OP müsse und dass gleich jmd. käme um uns alles zu erklären. Die Hebamme brachte dann unsere kleine Johanna, Jonas setzte sich wieder zu mir in Bett. Sie sagte es sei ein Mädchen und fragte wie es heißen soll. Jonas nahm sie in die Hand, ich konnte nicht. Sie war so winzig und klein. Die ganze Hand gerade mal so groß wie mein Daumennagel. Aber trotzdem war sie so perfekt, alles dran und alles goldig. Jonas wollte sie mir geben aber ich wollte nicht. Ich fasste dann unter Jonas Hände und wir hielten sie zusammen. Machten ein paar Fotos und dann nach knapp 15 Minuten kam die Ärztin und die Hebamme, machten nochmal einen Abstrich und erklärten uns die OP und nahmen Johanna wieder mit. 

Dann hieß es wieder warten, die Hebamme machte mich zwischendurch ein bisschen sauber, mir war alles total egal und bekam auch kaum was mit. Dann wieder warten bis die Anästhesistin kam einige Fragen stellte und nochmal einiges erklärte. Sie tat uns so leid, sie schien furchtbar müde und lehnte sich gegen die Wand, weil sie so Rückenschmerzen hatte. Dann wieder warten. Gegen halb 1 holten sie mich dann und schoben mich in den OP, sie erklärten mir alles was sie machten aber ich war einfach nur müde und mir war alles egal. Ich bekam einfach eh nichts mehr mit. Die Ärztin streichelte meine Beine bis die Narkose wirkte. Irgendwann wachte ich so halb wieder auf wurde ins Zimmer zurückgeschoben, das Gerät neben mir piepste, eine neue Infusion hing an mir, lag da, mal wach mal schlafend, Jonas schlief auch zwischendurch im Sessel. Er war auch so ko, erst Arbeiten in der Firma, dann renovieren bei einem Bekannten und dann nach Hause kommen und die Welt bleibt stehen – er war so hungrig da wir ja nichts mehr gegessen hatten als er zuhause war. Irgendwann brachte die Hebamme einen Umschlag mit Karte und drei Fotos von Johanna, legte es auf das Tischchen und ging wieder. 

Nach einiger Zeit kam die Ärztin wieder und schob mich zusammen mit Jonas auf die MundKiederChirugie, da auf der Gyn kein Zimmer mehr für Jonas und mich frei war. Wir waren so froh, dass Jonas bleiben durfte. Um 3 Uhr waren wir endlich auf dem Zimmer, Jonas lief noch einmal zum Auto um ein paar Sachen zu holen und dann legte er sich auch hin und wir schliefen ein wenig. Gegen 5 Uhr wurde ich wach und musste unglaublich dringend auf Toilette aber wusste nicht ob ich darf, wo das Klo ist und was ich mit der Infusion machen sollte. Jonas wachte auf und sagte ich solle einfach klingeln. Das tat ich dann. Die Nachtschwester kam, stöpselte mich ab und zeigte mir die Toilette. Es lief und lief und hörte nicht auf (wahrscheinlich von der Flüssigkeits-Infusion die ich nach der OP bekommen hatte) und ziemlich viel Blut. Als ich aufstand und zurück zum Bett wollte dachte ich, ich käme dort niemals an, mir wurde unglaublich schwindelig und ich torkelte eher zurück zum Bett, von da an hab ich Jonas immer mitgenommen wenn ich aufgestanden bin. Die Nachtschwester kam nochmal um zusehen ob alles geklappt hat und wechselte mir die vor lauter Blut durchweichte und kaputte Binde und Bettunterlage. Danach schliefen wir wieder, mal wach und mal schlafen, wir sprachen kaum. 

Morgens konnten wir dann viel hören, scheinbar schien es viele ältere Menschen auf der Station zu geben die nichts verstanden und schlecht hörten und mit Vorliebe zu klingeln schienen was die Schwestern nicht so begeisterte, immerhin ein bisschen Ablenkung. Das Frühstück kam und kam nicht und so blöd das klingt hatten wir einfach so einen unfassbaren Hunger. Irgendwann hörten wir draußen den Stationsleiter sagen: „Da steht ja noch das Essen von Frau Spar, die liegt da.“ Scheinbar hatten es nicht alle mitbekommen, dass sie über Nacht noch jmd. auf die Station bekommen hatten. Leider gab es morgens nur ein Frühstück und wir teilten es irgendwie unter uns auf. Der Stationsleiter maß zwischendurch meine Temperatur. 
Dann hieß es wieder warten, bisschen sprechen, schlafen, wach liegen, Leuten schreiben was passiert war, wieder bisschen schlafen. Dann bekamen wir Mittagessen, diesmal jeder eins allerdings hatten wir da nicht mehr so viel Hunger und der Stationsleiter „schimpfte“ ein bisschen, dass ich nicht viel gegessen hätte. Ich bekam noch eine Infusion, die aber dann auslief und der Stationsleiter diese dann abmachte mit den Worten: „Na dann sag ich unten (auf der Gyn) mal Bescheid, dass sie die nicht haben wollten“. (Der hilflose Versuch der Männer Anteil zunehmen, aber auch irgendwie guttuend – wie oben schon erwähnt). 
Dann wieder warten, schlafen, weinen, Jonas kam immer mal wieder in mein Bett. Einkaufsliste an Familie senden, Nachrichten schreiben und lesen. So viele liebe Menschen. Bisschen Rätseln aber eigentlich keinen Kopf dafür. Die Seelsorgerin kam und sprach und betete mit uns und erklärte uns was jetzt mit Johanna passiert und erklärte uns unsere Möglichkeiten der Bestattung. Dann gegen Nachmittag wurden wir runter auf die Gyn geholt. Ich wurde im Rollstuhl geschoben und war sehr dankbar dafür. 

Unten empfing man uns sehr liebevoll, sie schoben die Betten aneinander, sodass wir ein „Ehebett“ hatten und wir warteten wieder auf die Nachuntersuchung, schliefen, ruhten, schrieben Nachrichten, Jo rief an und sprach mit Jonas und meinte er wüsste nichts zu sagen aber wollte trotzdem anrufen. Abends kamen wir dann dran, schien alles in Ordnung und die Ärztin fragte ob wir nach Hause wollten oder lieber noch bleiben. Wir wollten nach Hause. Ich wollte duschen und nur noch schlafen und das ganz in Ruhe und wir wollten essen. Inzwischen hatten wir wieder so einen Hunger und Jonas schaute ohne Erfolg nach Kiosk etc. (aber alles wegen Corona geschlossen). Der Entlassungsbrief ließ wieder auf sich warten. Wir fragten die Stationsleiterin ob wir noch etwas zum Essen bekommen könnten bevor wir fahren weil ich so wackelig war und sie sagte: „Ich würde sagen sie bleiben noch, Essen in Ruhe zu Abend und fahren dann nach Hause“. Und das taten wir dann und so liebevoll wurde uns ein Abendessen serviert, die suchten hier und da noch was zusammen und wir hatten ein richtiges Menü für uns beide und waren dann auch richtig satt. Wir packten alles zusammen, ich zog mir was anderes an und dann machten wir uns mit wackligen Schritten auf den Weg. 

Zuhause ging ich sofort duschen und legte mich ins Bett, aber schlafen war wohl nichts. Auf einmal war alles so real, mein Bauch war leer, unser Baby fort und ich hatte sie nicht gehalten, nicht gestreichelt, wie konnte ich nur froh sein als alles vorbei war, ich hätte doch besser aufpassen müssen, ich war nicht für unser Mädchen da, sie hätte mich doch noch zum Leben gebraucht… Ich wollte wieder zu ihr… Irgendwann bin ich mit Foto von Johanna in Jonas Arm eingeschlafen zumindest bis 5 Uhr, dann fing alles wieder von vorne an. Sie war so winzig und trotzdem so perfekt, ich war im Krankenhaus überhaupt nicht da gewesen, mit den ganzen Medikamenten und Vollnarkose etc. ich war wie im Nebel. Irgendwann haben wir nochmal ein bisschen geschlafen. 

Der Sonntag ist völlig weg, ich weiß ich hab mit Leuten geschrieben, Johannas Fotos angeschaut, immer mal geschlafen, Serie geguckt, geweint, die Listen zerknüllt und in den Müll geschmissen. Ansonsten keine Ahnung. Meine Familie hatte liebevoll für uns eingekauft und Essen gemacht. Das war gut. Jonas hatte versucht die Seelsorgerin zu erreichen um zu fragen ob es eine Möglichkeit gibt Johanna nochmal zu sehen und ihr auf den AB gesprochen. Außerdem schrieb er schon Seelsorger an  zu denen wir seitdem regelmäßig gehen, das tut uns sehr gut.

Montag haben wir Fotos bei dm ausgedruckt und den ganzen Couchtisch damit zugelegt. Und Binden besorgt – ich hatte nicht mehr viele da, für Sonntag hatten wir aus dem Krankenhaus welche mitgehen lassen, aber ich hatte nicht damit gerechnet sobald wieder welche zu brauchen. Dann erreichten wir die Seelsorgerin aus dem Krankenhaus endlich und sie sagte sie müssen bei der Klinikleitung fragen ob wir nochmal kommen dürften und würde schauen wie Johanna aussieht. Kurz später rief sie an, dass wir kommen dürften. Und wir fuhren los. Sie holte uns am Krankenhauseingang ab und führte und durch Flure und Türen in die Kapelle, da lag unsere kleine Johanna, in einem Himmelbett, zudeckt und eingewickelt in eine Decke und neben ihr lagen zwei kleine Teddys. Davor standen zwei Stühle und ein Tisch mit Taschentüchern und neben dem Bettchen zwei Kerzenständer. Sie gab mir Johanna in die Hand und ließ uns dann alleine, wir weinten und weinten und hielten unsere Maus, streichelten sie und ich gab ihr zwei Küsschen auf den Kopf. Wir machten wieder viele Fotos. Die Krankenhausseelsorgerin kam zwischendurch rein, betete mit bzw. für uns und ließ uns wieder alleine. Es war so schwer sie wieder ins Bettchen zu legen und zu gehen und zu wissen wir werden sie nicht nochmal besuchen können. Die Seelsorgerin gab uns einen von den Teddys mit, den kleinen rosafarbenden und der kleine blaue blieb bei Johanna. Sie sah so friedlich aus und so goldig. Meine Hebamme sagte später, als sie Johannas Fotos anschaute, das sie sich erstaunlich gut gehalten habe nach den drei Tagen noch so auszusehen. Wir sind dafür so dankbar es war so schwer aber es hat mir so gut getan sie nochmal zu sehen, anzufassen und zu küssen. Das Wegfahren fühlte sich so falsch an, wie gerne hätte ich sie mit genommen. 

Später trafen wir uns mit meinen Eltern und meiner Schwester auf dem Friedhof und fuhren dann noch mit zu meinen Eltern um zu reden. Da meiner Mama der Gedanke so schwer fiel, dass wir Johanna dort anonym bestatten lassen wollten statt sie "richtig" zu beerdigen und sie sich als Oma nicht so verabschieden konnte wie wir das durften. Aber wir konnten gut miteinander sprechen. Meine Mama dann aber „zufällig“ dabei  als unsere kleine Johanna beerdigt wurde (an Mamas Geburtstag, sie hatte den Tag das Bedürfnis auf den Friedhof zu gehen). Wie gut sich Gott doch um alle kümmert. 

Die nächsten Tage waren alle so unreal und doch so schwer, aber getragen von Menschen und Gebete. Jonas Teamleiter kümmerte sich darum, dass Jonas erstmal frei haben konnte um bei mir zu bleiben. Das war so gut. Wir sind so dankbar, dass Jonas in einer so tollen Firma mit so tollen Kollegen arbeiten darf. Die Jonas auch bei allen Terminen die anstanden spontan und kurzfristig freigaben. Und immer wieder nachfragen wie es uns geht. 

Ich weiß nicht wie wir die Zeit geschafft haben aber irgendwie haben wir sie geschafft, wenn mir das vorher jmd. gesagt hätte, hätte ich gesagt, dass ich das nie überstehen würde und nicht überleben würde. Und wenn Leute uns sagen wie stark wir wären, können wir das nur schwer annehmen und selbst so sehen. Aber ich habe jetzt in einem Buch gelesen, von jmd. der das ähnlich so erlebt und empfunden hat und einen inneren Widerstand dagegen hatte wenn jmd. sie bewunderte für ihre Stärke und der dann ein ehemaliger Dozent gesagt hat: „Du bist stark. Das ist deutlich zu sehen. Da ist Stärke da. Es ist nicht deine Kraft. Es ist Jesus. Aber er ist unsichtbar und man sieht  nur dich. Du bist stark durch ihn. Denk mal darüber nach.“ (Viel zu kurz und doch für immer, Regina Neufeld, S. 204). Ein Buch das mir so sehr gut getan hat zu lesen, so schwer, weil ich alles nochmal intensiv wiedererlebt habe aber auch so gut, die gleichen Gedanken und Gefühle bei jmd. zu sehen der ähnliches erlebt hat. Dem Ähnliches gut getan hat und den Ähnliches verletzt hat. Der wütend auf Gott war und sich gleichzeitig so sehr nach Gott gesehnt hat, der Gott erlebt und erfahren hat so wie wir auch Gott erleben und erfahren dürfen, der gewachsen ist durch diese harte Zeit und der aber auch immer wieder schwere Zeiten erlebt, auch nach Jahren. Jmd. der Mut macht und sagt wir müssen da niemals drüber hinwegkommen, sondern dürfen trauern lernen und Trauer leben und das immer wieder wenn es aufkommt und lernen das Erlebte in unser Leben zu integrieren. 

Und so witzig, ein bisschen zumindest, von Regina Neufeld erzählt hat mir eine Frau, die ich eigentlich gar nicht kenne, und die nur meine Handynummer und dadurch Johannas Bild gesehen hat, weil mein Bruder mich letztes Jahr im September gefragt hat, ob ich in ihrer Familie als Haushaltshilfe helfen könnte, weil sie einen Bandscheibenvorfall hatte und Hilfe im Haushalt und mit den Kindern brauchte. Was dann aber nicht zustande kam weil ich wieder schwanger war (zwar nur kurz) und ich mir noch nicht wieder vorstellen konnte 8h am Tag zu arbeiten. Wie verrückt und kompliziert aber genial Gottes Wege sind. 

Und jetzt: wir lieben unser Mädchen so sehr, es ist so krass welche Liebe ein Mensch empfinden kann. Zu seinem Kind, so anders noch als die Liebe zum Ehepartner. Und wie dankbar wir für unser kleines Mädchen sind. Wie gerne wir sie bei uns hätten aber wie froh ich bin, dass es ihr gut geht und zwar mehr als das, dass sie lebt und so lebendig ist und den ganzen Tag voller Freude strahlen darf (und dabei bin ich so dankbar für das Lied "When Im Gone" von Roy Tosh, das mir die Augen für diese Perspektive geöffnet hat und mich lächelnd und erfüllt mit Freude an meine kleine Johanna denken lässt). Was kann man sich eigentlich schöneres für sein Kind wünschen. Wünscht man nicht ständig Leuten Glück und Gottes Segen zum Geburtstag, Hochzeit, etc. Mein Kind hat Glück pur und ist in Gottes liebenden Vaterarmen ganz praktisch und lebendig. Unser Mädchen ist nicht tot, sie lebt und das macht mich bei aller Traurigkeit und allem Vermissen froh und dankbar und glücklich. Klar fließen immer mal wieder Tränen, denn sie liegt nicht in meinem Arm, sie trinkt nicht an meiner Brust, ich kann sie nicht knuddeln, riechen, fühlen, sie wird nicht von dem stolzen und besten Papa der Welt in den Schlaf gedichtet usw. Und ja das macht uns traurig und niemals werden wir unser Mädchen aufhören zu lieben oder sie vergessen.

Und Gott ist da, manchmal fühlt er sich weit weg an und dann zeigt er sich wieder ganz nah und praktisch (wie bspw. durch die Postkarte im Wald. Die einfach an der Bank steckte als ich so traurig und depri war und sauer auf Gott, dass er mich nicht hält. Wie oft bin ich die letzten drei Jahre durch diesen Wald gegangen und nie war da eine Postkarte mit Bibelversen). 

Verstehen tun wir es nicht und ich glaub das müssen wir nie. In dem Buch schreibt Regina Neufeld, dass sie so oft nach dem Warum gefragt hat und gefragt wurde aber inzwischen froh ist die Antwort nicht zu kennen, denn sie sagt, egal wie diese lauten würde sie würde ihr nicht gefallen, denn egal was es gutes bringt ihr Kind wäre ihr immer lieber gewesen. Das fand ich interessant und hab da so noch nicht drüber nachgedacht aber es klingt so einleuchtend und sie hat recht damit, egal was Gutes dadurch entstehen und wachsen kann durch unsere kleine Johanna, es wird für mich niemals besser und wichtiger sein als unsere Tochter. Ich würde alles gegen sie eintauschen wollen und lieber darauf verzichten was es „Gutes“ bringt, wenn ich dafür mein Kind wieder bekommen würde. Daher möchte ich die Antwort auch nicht wissen, bzw. brauche sie nicht da sie nicht helfen würde. Gottes Gedanken sind einfach für uns Menschen oft unbegreiflich und das möchte ich akzeptieren und darauf vertrauen, dass Gott weiß warum, das er uns liebt, begleitet und tröstet und dass er es gut mit uns meint. 

Der 12. März 2021 hat alles verändert, mich, uns, Beziehungen zu anderen, unsere Beziehung zu Gott, die Sicht auf das Leben - es ist und wird nie mehr sein wie vorher auch wir werden nie mehr so sein wie vorher. Aber es darf weitergehen. Ich bin noch ich aber nicht mehr dieselbe und das wird immer so bleiben. Ich bin Mama und wen verändert „Mamasein“ nicht. Wir sind Eltern und welche Beziehung verändert „Elternsein“ nicht. Wir sind verwundet und wen verändern Wunden nicht. Wir dürfen heilen und wen verändert der Heilungsprozess nicht. Wir dürfen Gott erfahren und erleben und wen verändern Gotteserfahrungen nicht.


Tabea - Juli 2021